Bei der medikamentösen Therapie affektiver Störungen unterscheidet man zwischen
- Akutbehandlung
- Erhaltungstherapie und
- Rezidivprophylaxe
Die Akutbehandlung dauert idealer Weise bis zum vollständigen Abklingen der Beschwerden, also bis zur „Vollremission“. Oder, wenn diese nicht erreichbar ist, bis zur Rückbildung der akuten Symptomatik. Die Erhaltungstherapie muss teilweise deutlich länger fortgeführt werden, um auch nach der Besserung der Beschwerden ein Wiederauftreten der Symptomatik zu verhindern. Dies hat damit zu tun, dass Krankheitszustände unter medikamentöser Therapie schneller abklingen, als beim unbehandelten Verlauf. Das ist natürlich ein gewünschter Effekt, der aber darüber hinweg täuscht, dass das Krankheitsgeschehen eben noch nicht vollständig überwunden ist. Wird deshalb die Erhaltungstherapie in angeepasster (oft reduzierter) Dosierung nicht über den Zeitpunkt subjektiven Wohlbefindens hinaus fortgesetzt, ist das Therapieergebnis gefährdet.
Während sich die Erhaltungstherapie auf Rückfälle („relapses“) in der aktuelle Krankheitsphase bezieht, schützt die Rezidivprophylaxe nach Abschluss der Erhaltungstherapie vor erneuten Krankheitsschüben („recurrences“). Während die Erhaltungstherapie praktisch immer notwendig ist, muss die Rezidivprophylaxe sich am bisherigen Verlauf und der zu erwartenden individuellen Stabilität orientieren.
Leitlinien zur medikamentösen Behandlung akuter Manien oder bipolarer Depressionen sind z. B.:
- CANMAT (Canadian Network for Mood and Anxiety Treatmenty)
- CANMAT/ISBD (International Society for Bipolar Disorders)
- APA (American Psychiatric Association)
Medikamentöse Therapie der akuten Manie
Zur Behandlung der akuten Manie werden folgende Medikamente eingesetzt:
- Lithium
- Valproinsäure
- atypische Neuroleptika mit belegter Wirksamkeit:
- Aripiprazol
- Olanzapin (belegte Wirksamkeit auch zur Phasenprophylaxe, deshalb zu bevorzugen)
- Quetiapin, (belegte Wirksamkeit auch zur Phasenprophylaxe, deshalb zu bevorzugen)
- Risperidon
- Ziprasidon
- typische (klassische) Neuroleptika, die aber wegen der grösseren Gefahr extrapyramidaler Nebenwirkungen zu Gunsten der genannten atypischen Neuroleptika nur noch selten eingesetzt werden.
Klassische Neuroleptika bergen wie bereits erwähnt das Risiko sehr unangenehmer, evt. bleibender (Spätdyskinesien) Nebenwirkungen, deshalb sollten sie sehr zurückhaltend, möglichst gar nicht und wenn dann nur sehr kurz eingesetzt werden. Um Erregungszustände zu coupieren, sind, wenn die Gesprächsführung keine Lösung herbeizuführen vermag, Benzodiazepine bevorzugt einzusetzen, weil sie weniger gefährlich sind, zuverlässig sedieren und gleichzeitig die Angst des Patienten reduzieren. Antipsychotika sind m. E. nur dann indiziert, wenn tatsächlich psychotische Symptome vorhanden sind (ist allerdings in 50% d. Fälle so). Dann ist Olanzapin gegenüber klassischen Neuroleptika der Vorzug zu geben.
Wenn Lithium eingesetzt wird, sollte nach Berger (2004, S. 612) möglichst rasch ein relativ hoher „Lithiumplasmaspiegel bis 1,2 mmol/l“ angestrebt werden, wozu bei manischen Patienten aus unklaren Gründen höhere Dosen (meist zwischen 900 – 1800 mg Lithiumcarbonat) benötigt würden, als bei euthymen oder depressiven Patienten. Wichtig ist in der Einstellungsphase eine häufige Spiegelbestimmung, auch deshalb, weil die Grenzen zwischen therapeutischer und toxischer Wirkung beim Lithium eng sind. Bei starker Erregung in schweren manischen Zuständen ist initial die zusätzliche Gabe von Benzodiazepinen, Olanzapin oder notfalls auch typischer sedierender Neuroleptika oft unvermeidlich, weil die Wirkung des Lithiums erst nach mehreren Tagen Latenz einsetzt. Es ist aber in jedem Fall zu bedenken und abzuwägen, dass negative Erfahrungen mit einem Medikament die Compliance für die Zukunft erheblich verschlechtert. Das gilt aber natürlich auch für notwendig werdende Zwangsmassnahmen.
Mehrere Studien (vgl. Berger (2004, S. 613)) deuten darauf hin, dass das Antikonvulsivum Valproinsäure vergleichbar antimanisch wirksam ist wie Lithium. In der Schweiz ist Valproat eine gleichberechtigte Therapieoption und wird vom Referenten bevorzugt vor Lithium eingesetzt. Ein wesentlicher Grund ist die grosse therapeutische Breite dieser Substanz und die Tatsache, dass im Gegensatz zu Lithium und Carbamazepin schwerwiegende Nebenwirkungen bisher nicht beschrieben wurden. Zudem setzt die antimanische Wirkung deutlich früher ein als bei Lithium! Die Einstiegsdosis liegt zwischen 500 – 1000 mg/d, verteilt auf mehrere Einzelgaben. Oft reichen dann Erhaltungsdosen von 1500mg/d, es kann aber auch bis 3000mg/d gesteigert werden, wenn der gewünschte Stabilisierungseffekt ausbleibt. Eine regelmässige Kontrolle der Leberfunktion ist angeraten, bei Kindern und Jugendlichen sollte wegen der Gefahr von Hepatopathien möglichst auf die Verordnung verzichtet werden. Kombinationen mit Lithium, Carbamazepin und/oder Neuroleptika sind möglich. Als seltene Komplikation zu erwähnen ist eine Valproat-induzierte Enzephalopathie.
Laut Studien ist Valproat im Vergleich zu Lithium v. a. effektiver bei „dysphorischen Manien, gemischt manisch-depressiven Zuständen und einem „rapid cycling“ sowie bei manischen Episoden im Rahmen schizoaffektiver Störungen.“ (Berger, 2004, S. 613).
Das Antikonvulsivum Lamotrigin scheint v. a. antidepressiv wirksam bei bipolaren Störungen zu sein, es hat eine geringere antimanische Wirkung als Valproinsäure und Lithium.
Carbamazepin, ebenfalls ein Antikonvulsivum aus der Epilepsietherapie, hat einen belegten antimanischen Effekt, wirkt wie Valproat besonders gut bei dysphotischen gemischten Manien und beim „rapid cycling“ und kann relativ hoch (bis zu 1600mg/d) dosiert werden. Eine Kombination mit Lithium und/ooder Neuroleptika ist möglich. Carbamazepin kann initial zu Übelkeit und Schwindel führen, im Verlauf zu Hauterscheinungen und selten zu gravierenden Blutbildveränderungen, weshalb regelmässige Blutbildkontrollen unerlässlich sind. Ein weiteres Problem sind vielfältige Interaktionen mit anderen Medikamenten aufgrund der Neigung zur Enzyminduktion, die den Abbau anderer Substanzen beschleunigt.
Obwohl die Kombinationstherapie mit Mood Stabilizern und atypischen Neuroleptika nachweislich am wirksamsten ist und in den CANMAT/ISBD-Leitlinien als Methode der 1. Wahl empfohlen wird, sollte bei guter Wirksamkeit einer einzelnen Substanz eine Monotherapie durchgeführt werden. In diesen Fällen scheint nämlich die Hinzunahme eines weiteren Medikaments keine Verbesserung der Wirkung zu bringen, während das Risiko von Nebenwirkungen aber steigt.
Medikamentöse Therapie der akuten bipolaren Depression
Zur Akutbehandlung der bipolaren Depression kommen zum Einsatz
- Lithium
- Lamotrigin
- das atypische Neuroleptikum Quetiapin, insbesondere auch in der retardierten Form Quetiapin XR
Lithium hat sich sehr gut bewährt und gilt als Mittel der Wahl zur Behandlung akuter bipolarer depressiver Phasen. Lamotrigin hat ebenfalls eine depressionshemmende Wirkung, scheint nach Calabrese et al. (2008) jedoch erst bei schwereren depressiven Phasen wirksam zu sein (s. a. unten). Quetiapin und Quetiapin XR haben ebenfalls eine nachgewiesene deutliche antidepressive Wirkung und werden in den aktuellen CANMAT-Leitlinien als Medikament der 1. Wahl zur Behandlung der bipolaren Depression empfohlen.
Über den Wert von Antidepressiva in der Behandlung depressiver Phasen bei bipolaren Störungen gibt es inzwischen kontroverse Ansichten, nachdem es unter Behandlung, insbesondere mit trizyklischen Antidepressiva, immer wieder zu einem „Switch“ von der Depression in die akute Manie zu kommen scheint. Dennoch ist die Kombination von Mood Stabilizern und Antidepressiva in depressiven Phasen der bipolaren Störung nach wie vor verbreitet und etabliert. In Therapie-Leitlinien z. B. der CANMAT wird die Kombination zwischen Mood Stabilizern und SSRI als Mehode der 1. Wahl empfohlen. Neuere Studien weisen darauf hin, dass die Gefahr eines „Switches“ durch Antidepressiva eigentlich hauptsächlich bei „rapid cycling“ bzw. Patienten mit häufigen Krankheitsphasen besteht, sodass v. a. dort Vorsicht geboten sei.
Die APA empfiehlt in ihren Leitlinien bei unbehandelten Patienten mit bipolarer Depression Quetiapin als Mittel der 1. Wahl, bei bereits behandelten Patienten Quetiapin oder Lamotrigin als Zusatz zur bestehenden Medikation. Alternativ werden folgende Kombinationen empfohlen:
- Olanzapin + Fluoxetin
- Lamotrigin + Lithium
- Lithium (oder Valproinsäure) + Modafinil (auch in den CANMAT/ISBD-Leitlinien als 2. Wahl empfohlen)
Rezidivprophylaxe
Unter den Mood Stabilizern“ gibt es zwei Gruppen A und B. Die Substanzen der ersten Gruppe verhindern eher die Entgleisung in Richtung Manie, während die der zweiten Gruppe eher die Entgleisung in Richtung Depression verhindern.
Es gibt eine Vielzahl Medikamente, die als Mood Stabilizer eingesetzt werden können, unter anderem die oben bei der Akutbehandlung von Manie und bipolarer Depression genannten sowie zusätzlich z. B.
- Aripiprazol
- Clozapin
- Nimodipin
- Oxcarbazepin
- Risperidon-Depot,
- Ziprasidon
Für Lithium wurde gefunden dass es in nidriger Dosierung eher antidepressiv, in höherer Dosierung antimanisch wirkt. Lithium schützt darüber hinaus offenbar besonders wirksam gegen Suizidalität! (Cipriani et al. 2006)
Nach den CANMAT-Leitlinien unterscheiden sich die Empfehlungen danach, ob „rapid cycling“ vorliegt oder nicht. Sie lauten (nach Voderholzer/Hohagen 2010) wie folgt:
Ohne Rapid Cycling
- 1.Wahl (* = Evidenzlevel 1)
- Lithium*
- Quetiapin*
- Aripiprazol* (bei Manien)
- Risperidon-Depot*
- Lamotrigin (bei leichten Manien)
- Valproat
- Olanzapin
- Lithium oder Valproat + Quetiapin*
- Lithium oder Valproat + Ziprasidon
- Lithium oder Valproat + Risperidon-Depot
- 2. Wahl
- Carbamazepin
- Lithium + Valproat
- Lithium + Carbamazepin
- Lithium + Olanzapin
- Valproat + Olanzapin
- Lithium + Lamotrigin
- Olanzapin + Fluoxetin
- 3. Wahl
- Phenytoin
- + Clozapin
- + EKT
- + Topiramat
- + Gabapentin
- + Omega-3-Fettsäuren
- + Oxcarbazepin
Mit Rapid-Cycling
- 1. Wahl
- Lithium
- Valproat
- 2. Wahl
- Lithium + Valproat
- Lithium + Carbamazepin
- Lithium oder Valproat + Lamotrigin
- Olanzapin
- 3. Wahl
- Lithium + Topiramat
- Valptroat + Topiramat
- Olanzapin
- Quetiapin
- Risperidon
- Clozapin
- Oxcarbazepin
- Levothyroxin
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