Persönlichkeitsstörungen – Index

Einleitung

Die Diagnose „Persönlichkeitsstörung“ erfreut sich im klinischen Alltag einer ungebrochenen Beliebtheit. In einer breitgefächerten Erhebung von Tölle (1986), die sowohl den stationären als auch den ambulanten Bereich als auch verschiedene Berufsgruppen separat erfasste, kamen nur 2,8% der Befragten ohne diese Diagnose aus. Bei den übrigen 97,2% der Befragten, die mit dieser diagnostischen Kategorie arbeiten, sind unterschiedliche Bezeichnungen, meist nebeneinander und in folgender prozentualer Häufigkeit im Gebrauch:

  • Persönlichkeitsstörung (80,1%)
  • Abnorme Persönlichkeit (70,1%)
  • Charakterneurose (63,1%)
  • Dissoziale Persönlichkeit/Soziopath (50,8%)
  • Psychopathische Persönlichkeit (Psychopath) (41,5%)

Dieser Beliebtheit und offensichtlichen Sinnhaftigkeit der Diagnose „Persönlichkeitsstörung“ aus klinischer Sicht stehen eine Reihe schwer lösbarer konzeptueller und auch methodischer Probleme gegenüber, die das gegenwärtige Konzept der Persönlichkeitsstörungen in den modernen Klassifikationssystemen eher schwach und brüchig erscheinen lassen. Zwar konnte durch Operationalsierung der syndromalen Diagnostik bereits eine deutlich verbesserte Interrater-Reliabilität erreicht werden. Die Validität ist jedoch noch unzureichend.Zwei interessante weitere Ergebnisse der Auswertung o.g. Studie von Tölle sollen vor dem Hintergrund dieser Frage genauer dargestellt werden:

  • Ärzte verwendeten besonders gerne die Bezeichnungen Persönlichkeitsstörung und dissoziale Persönlichkeit/Soziopath, jedoch in aller Regel nicht nebeneinander, dennAus 26 denkbaren Kombinationen der 5 Begriffe gibt es doch drei Begriffskombinationen, die häufig miteinander auftauchen und von unterschiedlichen Psychiater-Persönlichkeiten bevorzugt gewählt werden. Diese sind die Kombinationen:
    • Abnorme Persönlichkeit und Psychopathie
    • Persönlichkeitsstörung und Charakterneurose
    • Abnorme Persönlichkeit, Persönlichkeitsstörung und dissoziale Persönlichkeit
  • Alle 5 Begriffe nebeneinander

Diese Gruppierungen und begrifflichen Vorlieben innerhalb derselben diagnostischen Kategorie kommen sicherlich nicht von ungefähr. Denn:

„Was „Persönlichkeitsstörung“ beinhaltet, ist nicht so klar, wie die häufige Verwendung des Begriffes vermuten läßt. Es handelt sich nicht etwa nur um ein neues Wort, das die pejorative Bezeichnung Psychopathie ersetzen soll. Persönlichkeitsstörung, die wörtliche Übersetzung von personality disorder, beinhaltet eine Konzeption, die von der traditionellen Psychopathielehre zum Teil erheblich abweicht…
…Personality disorder umfaßt außer den sogenannten abnormen oder psychopathischen Persönlichkeiten auch charakterneurotische Störungen. Manche Autoren zählen sogar Wesensveränderung bei Epilepsie und organischen Psychosen sowie Persönlichkeitsänderungen nach schizophrenen und affektiven Psychosen hierzu.“ (Tölle 1986)

Saß (1998) hat ein Schaubild veröffentlicht, welches die Beziehungen zwischen dem Konzept der „Persönlichkeitsstörungen“ und anderen psychischen Störungen darstellt
Dieser Darstellung zufolge könnte man auch sagen, daß der neue Begriff der Persönlichkeitsstörung eine Art Sammelbehälter für verschiedenste Konzepte darstellt, die nun freilich nicht mehr zu erkennen sind
Es finden sich Anteile der

  • Neurosen, einschl. Charakterneurosen und neurotische P.-störungenSoziopathien und Dissoziale P.-störungen
  • psychopathische Pers.-varianten, abnorme Persönlichkeiten und -entwicklungen einschl. Triebstörungen

Außerdem wichtige klinische Beziehungen zu

  • affektiven und schizophrenen Psychosenorganischen Psychosen
  • anderen psychischen Störungen“Dabei sind die Beziehungen, …, durchaus in beiden Wirkrichtungen vorstellbar, denn zum einen beeinflußt das Vorhandensein prämorbider Persönlichkeitstörungen sowohl Ausprägungsform wie auch Therapierbarkeit und Verlauf der affektiven und schizophrenen Psychosen, ebenso wie in umgekehrter Richtung das Auftreten und vor allem das längere Bestehen einer psychotischen Krankheit auf das Persönlichkeitsgefüge zurückwirkt und postpsychotische Persönlichkeitsveränderungen hervorrufen kann. Dies mag bis zu einer Amalgamierung von prämorbid vorhandenen Persönlichkeitsbesonderheiten mit den aus der psychotischen Erkrankung hervorgegangenen Deformierungen des Persönlichkeitsgefüges zu iner dauerhaften Persönlichkeitsänderung führen.“ (Sass, 1998, OPD, S. 45f)

Ich glaube, daß diese Argumentation durch die getrennte klassifikatorische Behandlung der „Persönlichkeitsänderungen“ (F62) und der „organischen Persönlichkeitsstörung“ (F07) in der ICD-10 nicht entkräftet ist. Bezüglich der Heterogenität der Konzeptualisierung differenziert Tölle in der Neuauflage seines Lehrbuches in

  • Persönlichkeitsstörungen, die „auf der Basis der psychiatrischen Krankheitslehre konzipiert worden“ sind (Bs.: paranoide, schizoide, schizothyme, depressive P.)Persönlichkeitsstörungen, die „auf reaktionstypologische Konzeptionen“ zurückgehen (Bs.: Vermeidungspersönlichkeitsstörung, passiv-aggressive P.Persönlichkeitsstörungen mit „tiefenpsychologischen Konzeptionen“ (Bs.: narzißtische P. oder Borderline-P.)Persönlichkeitsstörungen, „die den klassischen Charakterneurosen nahe stehen und gleichlautend benannt werden“ (Bs.: depressive, hysterische, anankastische und schizoide P.)
  • Eine Persönlichkeitsstörung, „nämlich die der dissozialen Persönlichkeitsstörung,…die stark soziologisch geprägt ist

In dieser Einleitung ist es mir wichtig, darauf hinzuweisen, wie bedeutend das Problem der Heterogenität der Konzepte und Einstellungen bei der Auseinandersetzung mit „Persönlichkeitsstörungen als psychiatrische Diagnose“ tatsächlich ist.
Es sind nämlich nicht nur die Konzeptualisierungen, die eine befriedigende und einheitliche Klassifizierung bzw. diagnostische Erfassung dieser Patientengruppe behindern. Zu den einzelnen Konzepten kommen nämlich verschiedenartige Problemfelder hinzu, die sich grob wie folgt unterteilen lassen:

  • methodologische Probleme (Reliabilität? Validität? Grenzen psychometrischer Verfahren? Kategoriale Verfahren vs. dimensionale Bestimmung?)
  • allgemeine klinisch-psychiatrische Probleme (Krankheitsbegriff in der Psychiatrie? Funktion der Diagnose? Klassifikationssysteme?)
  • psychiatriegeschichtliche Probleme (Stigmatisierungsproblem, Anpassungsproblematik, Selbstwertproblematik)
  • berufspolitische Probleme
  • übergeordnete Probleme (ökonomischer Druck, gesellschaftliche Erwartungen)

All diese Faktoren erschweren die einheitliche Behandlung dieser diagnostischen Kategorie. Man darf in diesem Zusammenhang, so meine ich, mit Fug und Recht sagen, daß die „Persönlichkeitsstörungen“ in ihrer Bedeutung und in ihrer Umstrittenheit gleichermaßen eine Sonderstellung unter den psychiatrischen Störungen einnimmt:
Keine andere psychiatrische Diagnose erhält darüber hinaus so viel Nahrung aus der Kultur. Wie H. Sass (1987) richtig betont sind „Persönlichkeiten und ihre Eigenschaften…in erster Linie ein Thema der allgemeinen Menschenkunde, aber auch der literarischen Darstellung.“
Keine andere psychiatrische Diagnose ist so intim und umfassend verletzend wie die der Persönlichkeitsstörung.
Keine der großen psychiatrischen Diagnosekategorien ist gleichzeitig so unbefriedigend konzeptualisiert wie die der Persönlichkeitsstörungen.
Und: keine andere Diagnose (ausgenommen die bereits „entfernte“ Hysterie) deckt so schonungslos die Schwachstellen der modernen Klassifikationssysteme auf. Dittmann (1994) muß feststellen, daß sich einerseits zwar der „Begriff „Persönlichkeitsstörung“…in den letzten Jahren gegenüber älteren Termini wie Psychopathie, abnorme Persönlichkeit, psychopathische Persönlichkeit oder Charakterneurose weitgehend durchgesetzt“ hat, daß aber andererseits trotz „dieser sprachlichen Vereinheitlichung“ nicht übersehen werden darf, daß es sich auch im Zeitalter der 10. Revision der ICD noch „um eine insgesamt heterogene diagnostische Gruppe handelt, über die in vielen Bereichen kein allgemein aktzeptierter Konsens besteht. Die gegenwärtig wichtigsten Problembereiche sind die Abgrenzung von „normalen“ Persönlichkeitsvarianten und anderen psychischen Störungen und Erkrankungen, das methodische Grundprinzip der Klassifikation der einzelnen Störungstypen sowie die Ätiologie“
Dieser Satz dürfte wohl bei ruhiger Betrachtung das Dilemma in ganzem Ausmaß darstellen. Kürzer bringt es Tölle (2000) mehr als zehn Jahre nach seinem oft zitierten Artikel über Persönlichkeitsstörungen in „Psychiatrie der Gegenwart“ in der Neuauflage seines Lehrbuches auf den Punkt:

„Es gibt keine überzeugende Systematik der Persönlichkeitsstörungen. Es ist auch hier nur eine Aneinanderreihung der Typen denkbar. Diese schließt sich an ICD-10 an und berücksichtigt einige weitere Formen.“

Ein Versuch: „Persönlichkeitsstörung“ aus interpersoneller und personenzentrierter Sicht

Es gab schon immer das Bedürfnis, verhaltensauffälligen Mitmenschen eine besondere Aufmerksamkeit zu schenken. In dem Masse nämlich, in dem deren Verhalten die Grenzen Anderer überschreitet, wird es unter Umständen lästig, wenn nicht bedrohlich und dadurch auch kontrollbedürftig. Wie Grenzüberschreitungen „verübt“ (bewusst oder unbewusst und in welcher speziellen Form) werden und wie das Gegenüber darauf reagiert bzw. ab wann es sie als solche erlebt, hängt von der „Persönlichkeit“ beider ab. Grenzüberschreitungen manifestieren sich nämlich im interpersonellen Raum und werden durch die „Persönlichkeiten“ der daran Beteiligten „geschlichtet“ oder „geahndet“. Bei dieser Sichtweise des interpersonellen Geschehens stellt, je nach Sensibilität oder Toleranz des Beziehungspartners, nicht nur die aktive Provokation, Drohung oder Tätlichkeit eine „Grenzüberschreitung“ dar, sondern auch passiver sozialer Rückzug, Verwahrlosung etc..

In zivilisierten Sozialisationen erfolgt die Ahndung von Grenzüberschreitungen in schwerwiegenden Fällen üblicherweise durch eine unabhängige Instanz, die wiederum eine Art kollektive „Persönlichkeit“ oder ein kollektives Gewissen symbolisiert. Dies gilt für die aktiven Grenzüberschreitungen (Gewaltausübung) eher, weil sie den Anderen rqascher dazu veranlassen, sich aktiv zu schützen. Die Beziehung wird hier sozusagen „aufgezwungen“, auch fremden Personen. Passive Grenzüberschreitungen müssen in freiheitsbewussten, zivilisierten Sozialisationen in der Regel erst ein viel grösseres Mass überschreiten, um zu aktiven Gegemassnahmen zu führen. Man denke etwa an die Nichtduldung von Suizidalität. Die passiven Grenzüberschreitungen sind in milderen Ausprägungen nur innerhalb von persönlichen Beziehungen spürbar bzw. sie funktionieren nur über die persönliche Beziehung, sodass sie zunächst auch im engeren interpersonellen Raum verbleiben.

Es gibt nun zwei grundsätzliche Möglichkeiten, Grenzüberschreitungen „interpersonell“ zu bewerten:

  • die belastende und
  • die entlastende.

Zur Illustration:
Wenn angesichts einer Grenzverletzung (z.B. eines Regelverstosses) vom Geschädigten die Haltung vertreten wird: „Das war nicht recht von Dir. Deshalb erwarte ich jetzt, dass Du…“, dann handelt es sich um eine „belastende Sichtweise“, weil der Andere für sein Handeln verantwortlich gemacht wird. Wenn aber die Haltung vertreten wird: „Das war zwar nicht recht von Dir, aber Du kannst ja nichts oder nur eingeschränkt etwas dafür…“, dann ist dies eine „entlastende“ Sichtweise, weil unterstellt wird, dass dem Anderen, aus welchen Gründen auch immer, die Verantwortlichkeit für sein Handeln nicht oder nicht ganz zugemutet werden kann.
Bei der „Schlichtung“ werden Kompromisse zwischen diesen beiden Haltungen gesucht.

Justiz und Psychiatrie (als Teilgebiet der Medizin) verkörpern hinsichtlich grenzüberschreitenden Verhaltens im grösseren, gesellschaftlichen Rahmen die „belastende“ bzw. die „entlastende“ Position.

Es scheint so zu sein, dass passive Grenzüberschreitungen öfter „entschuldigt“ bzw. „geduldet“ werden, während aktive Grenzüberschreitungen öfter „juristisch“ angegangen bzw. erst dann „entschuldigt“ werden, wenn in einem offiziellen Prozess (Ritual) durch Fachleute (Ärzte, Psychiater, Gutachter) dem Betreffenden die Zurechnungsfähigkeit abgesprochen wurde und eine Zuführung zum psychiatrischen/psychotherapeutischen Arbeitsfeld erfolgt. Die psychiatrische Institution übernimmt nach diesem Statuswechsel nun kommissarisch die Verantwortung für den „Patienten“, wordurch sich das soziale System wieder beruhigt. Die Psychiatrie als medizinische Teildisziplin definiert sich somit zumindest in ihrem forensischen (gerichtlichen) Teilbereich, in welchem es um die Beurteilung von „Persönlichkeit“ geht, wesentlich über die Abgrenzung zur Staatsgewalt.
Die relativ diskret klingende moderne Bezeichnung, „Persönlichkeitsstörung“, die sich von früheren Begriffen wie „Psychopathie, „abnorme Persönlichkeit“ oder „Soziopathie“ herleitet bezeichnet inhaltlich daher trotz ihrer Neukonzeption nicht einfach einen neutralen, z.B. statistisch ermittelten Faktor einer Normabweichung, sondern sie behält insofern einen pejorativen Beigeschmack, als die genannten Vorläuferbegriffe in ihrer Funktion der besagten Grenzziehung zur Staatsgewalt gesellschaftsschädigendes Verhalten wie Dissozialität oder Delinquenz focussierten und eine Erklärung (und Entlastung) sehr stark im (degenerativ-) Biologischen suchten. Wie um angesichts einer schwierigen Beweispflicht zu zeigen: „Schaut her, der kann wirklich nichts dafür!“

Wenn wir im Folgenden über „Persönlichkeitsstörungen“ sprechen, geht es um die Menschen, denen zumindest für einen Teil ihres Verhaltens die „Zurechnungsfähigkeit“ und ganz oder teilweise abgesprochen wird, weil man davon ausgeht, daß sie gestört sind. Dabei wird, der Wortbedeutung folgend, das abweichende Verhalten nicht unabhängig von der „Persönlichkeit“ als „gestört“ betrachtet, sondern das störende Verhalten als Ausdruck einer in sich „gestörten Persönlichkeit“ verstanden. Die Botschaft an solche Menschen lautet also nicht: „An dir als intakter Person ist etwas erkrankt oder gstört“, sondern „Du bist (insgesamt) gestört.“ Die „Persönlichkeitsstörungen“ sind also, wenngleich sie zumindest noch im ICD-10 wie eine Kategorie unter vielen erscheint, eine durchaus heikle und von anderen grundsätzlich verschiedene Störungsgruppe. Ihre Beliebtheit unter Diagnostikern (vgl. Tölle, 1986) steht in einem inversen Verhältnis zu den substantiellen Schwierigkeiten, die mit ihrer Konzeptualisierung und auch mit ihrer praktischen Anwendung verbunden sind.

Die Beschäftigung mit dem Thema „Persönlichkeitsstörungen“ ist einerseits deshalb spannend, weil die Beschäftigung mit der „Persönlichkeit“ anderer immer auch indirekt die eigene Persönlichkeit erhellt. Andererseits bietet kein anderes psychiatrisches Thema ein derartiges Verletzungs- und Stigmatisierungspotential. Und zwar wechselseitig. Denn mit Arzt und Patient treffen zwei Persönlichkeiten aufeinander, und die eine soll über die andere ein Urteil fällen. Es schützt den Patienten wenig, wenn der Arzt dabei versucht, als Person hinter der diagnostischen Methode, die er verwendet unerkannt zu bleiben. Denn es ist ja dennoch der Arzt, der diese Diagnose bei ihm stellt. Und es schützt den Arzt nur wenig, wenn er aus einer „professionellen“ Haltung heraus versucht, den u.U. verletzenden Aktionen oder Reaktionen des Patienten weniger Bedeutung beizumessen. Denn das, was uns wirklich verletzt, hat immer auch mit uns zu tun.

Es wäre eine Vereinfachung, wollte man dem Thema „Persönlichkeitsstörung“ nur aus der „interpersonellen Perspektive“ begegnen. Diese ist zwar in besonderem Maße geeignet, Stigmatisierungsprozesse zu erkennen und vermeiden zu helfen. Außerdem stellt sie einen bedeutenden Ansatzpunkt psychotherapeutischer Behandlung dar.
Andererseits läßt sich nicht wegdiskutieren, daß es auch eine ebenso wichtige personzentrierte Perspektive überdauernder abweichender Verhaltens- oder Einstellungsmuster gibt. Es gibt nicht eine einzige Theorie der Persönlichkeit, in der davon ausgegangen wird, daß es gesunde Menschen gibt, die es anstreben, durch sozialschädliches Verhalten oder durch Verwahrlosung zunehmend von Mitmenschen isoliert zu werden. Moderne Entwicklungstheorien betonen dagegen eher die eminent wichtige Bedeutung von Bindungsbedürfnisses und in der Psychotherapie ist die Bedeutung der therapeutischen Beziehung für Verlauf und Prognose zunehmend unbestritten. Vorsichtig formuliert: Schaut man sich die Lebensläufe Derer an, die die Diagnose einer „Persönlichkeitsstörung“ erhalten haben, dann hat man doch zumindest in vielen Fällen den Eindruck, daß es für die Betroffenen selber keine befriedigende Lösung wäre, die medizinisch-therapeutische Haltung wieder in eine juristische Haltung umzuwandeln. Die „Beliebtheit“ der Diagnose „Persönlichkeitsstörung“ drückt also vermutlich nicht nur einen leichtfertigen Umgang aus, sondern auch ein intuitives epochenübergreifendes Gespür dafür, daß es trotz konzeptioneller Unklarheiten einige gute Gründe gibt, bestimmte verhaltensauffällige und auch delinquente Menschen nicht ins Gefängnis, sondern in eine psychiatrisch/psychotherapeutische Behandlung zu überantworten.

Die Betrachtung der „Persönlichkeitsstörungen“ bewegt sich daher in einem ständigen Spannungsfeld konträrer Auffassungen und Konzeptionen, die bei näherer Sicht zumeist komplementär sind und nach einer dialektischen Auflösung verlangen. Dabei lassen sich z.B. folgende übergreifende Kontroversen finden :

  • die unterstellte Ursache betreffend: Anlage versus Umwelt?
  • die interpersonelle Beurteilung betreffend: Mündigkeit versus Unmündigkeit?
  • die Diagnostik betreffend: kategoriale versus dimensionale Erfassung der Störung?
  • die erkenntnistheoretische Absicherung des Störungskonzeptes betreffend: Empirie versus Werturteil?

Es ist kein Zufall und unterstreicht die Sonderstellung und zugleich die Fragwürdigkeit der „Persönlichkeitsstörungen“ als (scheinbar gleichberechtigter) diagnostischer Kategorie unter anderen, daß sich an ihnen Grundkonflikte der Psychiatriegeschichte gegen alle Tricks und Kunstgriffe empirischer Methodik wie von selbst wiederbeleben. In dem Maße, als die medizinische Beschäftigung mit „Persönlichkeit“ und ihren „Störungen“ der immer auch dialektischen Natur traditionellen psychiatrischen Denkens entsprungen ist, lassen sie sich nun nur schwer mit der reduktionistischen operationalen Methodik rein empirisch grundgelegter Klassifikationssysteme abbilden. Die „Hysterie“, welche in ihren moderneren Konzeptionen ebenfalls als komplexer Beziehungsmodus auf der Grundlage dispositioneller Faktoren verstanden wurde, ließ sich ebenso unbefriedigend auf der Manualebene abbilden und wurde deshalb kurzerhand eliminiert bzw. grob reduktionistisch „umgetauft“ und „aufgesplittert“.

Zur Begriffsgeschichte

Nach Sass (1987), welcher die Begriffsgeschichte prägnant und übersichtlich zusammengefaßt hat, wird die Ideengeschichte der Psychopathiekonzepte im wesentlichen von den traditionellen Vorstellungen der französischen, der angelsächsischen und der deutschsprachigen Psychiatrie geprägt. Dies bedeutet selbstverständlich nicht, daß die Persönlichkeit zuvor keine Rolle gespielt hätte. Über die bereits um 400 v. Chr. erstellte Typenlehre von Theophrastus von Eresos und die Lehre von den vier Temperamenten läßt sich der Weg der Versuche, den Menschen in seinen Eigenschaften und seinem Verhalten zu charakterisierenden bis in die Antike zurückverfolgen. Dies ist insofern für die vorliegende Arbeit interessant, als wir daraus ableiten dürfen, daß offenbar immer schon ein starkes Bedürfnis nach einer Klassifikation des Mitmenschen bestanden hat, schulenübergreifend und unabhängig vom historischen Kontext. Wir werden darauf später zurückkommen.

Frankreich

Pinel’s Aufsatz über die „manie sans délire“ (1809), eine Störung der Affekte bei ungetrübtem Verstand, stellt den ersten wissenschaftlichen Versuch der neuzeitlichen Psychiatrie dar, einen umschriebenen Persönlichkeitsbereich nosologisch zu erfassen. Für die Ätiopathogenese machte Pinel übrigens wahlweise endogene (zügellose Veranlagung) oder biographische Faktoren (mangelhafte Erziehung) verantwortlich. Die noch heute virulente Streitfrage des Anlage-Umwelt-Verhältnisses war also schon dort grundgelegt.
In ähnlicher Weise erkannte dann später Esquirol (1838) zunächst zwei Typen sogenannter Monomanien (= einzelner Besessenheiten oder Tollheiten), eine „monomanie affective“ sowie eine „monomanie instinctive“, aus denen sich später Konzeptionen umschriebener weiterer Monomanien entwickelten, so z.B. die Erotomanie, die Kleptomanie oder die Pyromanie, deren Namen auch im heutigen psychiatrischen Sprachgebrauch noch geläufig sind.
Von der Momonanielehre gingen wesentliche Impulse auf die angelsächsische und, wie bereits erwähnt, die deutsche Psychiatrie aus:
So wurde nach Sass aus den Formen der „monomanie instinctive“ in Deutschland das „Impulsive Irresein“.
In den angelsächsischen Ländern wurde aus den Formen der „monomanie affektive“ sowie der „folie morale“ die „moral insanity“.
Überreste dieser Entwicklung finden sich noch in der DSM-IV-Kategorie „Störungen der Impulskontrolle“ mit ihren Störungsbildern, „Kleptomanie“, „Pathologisches Spielen“ sowie in der ICD-10-Kategorie „abnorme Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle“ zurückführen lassen.

Die Einführung der Degenerationslehren in die Psychiatrie durch Morel (1857) bewirkte entscheidende Veränderungen in der Auffassung abnormer Persönlichkeiten.
Sass beschreibt drei wesentliche Charakteristika der Morel’schen Lehre:

„Sie waren krankhafte Abweichungen vom normalen Bild des Menschen, sie entstanden durch schädliche Umwelteinflüsse, sie wurden durch Vererbung weitergegeben. Dabei sollte der Schweregrad der Störung von Generation zu Generation bis zum Aussterben zunehmen.“

Magnan (1895) gab der Degenerationslehre Morels eine neurophysiologische Basis, machte eine zerebrospinale Dysbalance für eine erhöhte Vulnerabilität des Patienten verantwortlich und postulierte eine gesetzmäßige Abfolge ganz bestimmter Krankheitsbilder. Von hier aus wirken Anstöße noch bis in die moderne angelsächsische Forschung fort (z.B. Arousaltheorie).

Zusammenfassung:
Von Frankreich nahm die Psychopathielehre ihren Anstoß und entwickelte sich in Rück- und Wechselwirkung mit angelsächsischen und deutschen Akzenten hin zu einer Synthese der Lehren Pinels, Esquirols, Morels und Magnans.
„Die verbindenden Hauptelemente der französischen Psychopathielehren liegen syndromatologisch in Störungen der Emotionalität und des sozialen Verhaltens bei intakten Verstandeskräften, ätiopathogenetisch in der Vorstellung einer anfälligen Konstitution mit psychischem Desequilibrium und Fragilität.“

Angloamerikanische Psychiatrie

Prichard schuf (1835), basierend auf den Auffassungen Pinels von der „manie sans délir“ den Begriff der „moral insanity“, wobei der Begriff „moral“ damals noch nicht auf die enge sittliche Bedeutung eingeengt war, sondern den affektiven Zustand meinte.
Ein Auszug von Prichards Definition der „moral insanity“:

„…madness, consisting in a morbid perversion of the natural feelings, affections, inclinations, temper, habits or defect of the interest or knowing and reasoning faculties, and particulary without any insane illusion or hallucinations.“

Die späteren angloamerikanischen Konzepte von „psychopathy“ wurden allesamt geprägt von dieser Definition.
Trotz der eigentlich weiten Fassung des Begriffes „moral“ kam es durch Mißverständisse früh zu einer entsprechenden Bedeutungsverschiebung auch des Begriffes „psychopathy“, die Persönlichkeitsstörung ihrerseits auf sozial deviante und deliquente Formen einengte.
Von drei Psychopathieformen, der aggressiven, der inadäquaten und der kreativen Form die Henderson (1939) anfänglich unterschied, haben sich folgerichtigerweise nur die beiden ersten Varianten in den angelsächsischen Konzepten des 20. Jahrhunderts fortgesetzt.

Da von der Wortbedeutung her der Begriff „psychopathy“ eigentlich eher eine Art Oberbegriff für alle möglichen und verschiedenen Formen und Ausprägungsgrade von Persönlichkeitsanomalien darstellt, de facto aber häufig in der beschriebenen engen soziopathischen Konnotation verwendet wurde, war die Verwendung als psychiatrische Diagnose seit jeher mißverständlich.
Craft (1966) versuchte als erster für die englische Psychiatrie durch Einführung einer operationalisierten Definition mit Ein- und Ausschlußkriterien eine eindeutige Festlegung des Psychopathiebegriffs auf eine antisoziale Störung zu erreichen.

In den USA vertrat Rush (1812) nach Aufgreifen des Konzepts der „manie sans délir“ von Pinel in seinem Lehrbuch der Psychiatrie ein Psychopathiekonzept, welches den Boden für die starke Vereinseitigung der angloamerikanischen Auffassung in Richtung „soziale Devianz“ den Boden bereitete. Das Lehrbuch wurde für mehr als 100 Jahre das Standardwerk schlechthin und wurde noch 1962 erneut aufgelegt .

Seit Beginn des 20. Jahrhunderts unter dem Einfluß psychoanalytischen Gedankenguts zunächst den Versuch, neurotische und psychopathische Persönlichkeitsauffälligkeiten zu unterscheiden. Dann, beginnend mit Freuds Schrift über „Charakter und Analerotik“ (1908) übte mit den Konzepten Reichs (1925) und Alexanders (1928) die psychoanalytische Charakterkunde ihren Einfluß aus und grenzte ihr eigenes Territorium ab.
Es entwickelten sich die auch heute noch wichtigenz.T. sehr gebräuchlichen und hilfreichen Vorstellungen vom Ich-syntonen Psychopathen und dem Ich-dystonen Neurotiker.
Mit der Absteckung des psychoanalytischen Terrains entwickelte sich parallel dazu auch die Vorstellung, daß die Psychopathen im dissozialen Sinne wegen ihrer Ich-Syntonie eher in die Zuständigkeit von forensischen Psychiatern, Psychologen und Soziologen fallen, während die an sich selbst leidenden (Charakter-)Neurotiker in den Zuständigkeitsbereich der Psychoanalyse gehören.

Die schlußendliche Ersetzung des Begriffes „psychopathic personality“ durch die Bezeichnung „sociopathy“, welche auf einen Vorschlag Patridges (1930) zurückging war nur die logische Konsequenz dieser Entwicklung.
Heute sind die beiden Begriffe „psychopathy“ und „sociopathy“ im angelsächsischen Raum synonym und gleichbedeutend mit dem neueren Begriff der „antisocial personality disorder“ des DSM-IV.

Es folgten Versuche, die Psychopathie in eine primäre oder sekundäre bzw. essentielle oder symptomatische Form einzuteilen. Diese Einteilungen spielen auch heute noch in empirischen Untersuchungen und Erklärungsmodellen für Psychopathie eine große Rolle.
Ein von Karpman (1941) vorgeschlagener Begriff „anethopathy“ für die Bezeichnung der essentiellen Psychopathen setzte sich nicht durch.

Wesentlichen Einfluß auf die weitere Entwicklung des modernen Psychopathiekonzeptes hatte die Monographie Cleckleys (1941): „The Mask of Sanity“, in der er einen Katalog von 16 diagnostischen Merkmalen erstellte und die Unfähigkeit, zentrale menschliche Erfahrungen affektiv erfüllt erleben zu können (die sogenannte „semantische Demenz“) bei ungestörtem Intellekt als konstitutionelles Kennzeichen des Psychopathen wertete.
R.D. Hare hat die Merkmalsliste Cleckley’s weiterentwickelt, welche heute als PCL-R, offenbar v.a. auch in der forensischen Psychiatrie in Verwendung ist.
Danach ist die Psychopathie durch folgende (jetzt 20) Merkmale gekennzeichnet:

  • Oberflächlicher Charme
  • Übersteigertes Selbstwertgefühl
  • Pathologisches Lügen
  • Reizhunger und Tendenz zur Langeweile
  • Manipulatives Wesen
  • Fehlende Schuldgefühle
  • Flache Affekte
  • Mangelnde Empathie
  • Parasitärer Lebensstil
  • Geringe Verhaltenskontrolle
  • Promiskuität
  • Früh einsetzende Verhaltensstörung
  • Mangel an realistischen Fernzielen
  • Impulsivität
  • Fehlendes Verantwortungsbewußtsein
  • Unfähigkeit, Verfehlungen einzugestehen
  • Kurzzeitehen
  • Frühkriminalität
  • Delikte in Probezeit
  • Kriminelle Vielseitigkeit

Bezogen auf die aktuelle Situation der modernen standardisierten psychiatrischen Klassifikationssysteme DSM und ICD muß man rückblickend feststellen, daß Checkley mit seiner Konzeption gescheitert ist. Er hatte sich gegen eine allzu weite Fassung des Psychopathiebegriffes gewendet und erneut eine beschränkte Anwendung für einen Personenkreis gefordert, welcher durch nicht angemessen motivierte antisoziale Verhaltensweisen bei Fehlen einer Psychose, Neurose oder einer geistigen Behinderung gekennzeichnet ist.

Zusammenfassung:
Die angelsächsischen Psychopathiekonzepte waren von Beginn an sehr auf die Dissozialität hin ausgerichtet und versuchten, diese zum Kern der Konzeption zu machen. So war bereits der Begriff der „moral insanity“ sehr verengt worden und wurde dann stufenweise durch Begriffe abgelöst, die diese Gewichtung sichtbarer repräsentieren. Bei den ätiopathogenetischen Vorstellungen wird ein breiter Bereich abgedeckt, vom Neurosenkonzept bis hin zu der „Vorstellung eines basaleren, neurosenpsychologisch nicht ableitbaren geistig-seelischen Defektes.“

Die deutsche Psychiatrie

Ursprünglich war der Ausdruck „Psychopathie“ ein Überbegriff für aller Arten seelischer Störung und umfaßte selbstverständlich auch psychotische Störungen. Mit dem Erscheinen von Kochs Monographie über „Psychopathische Minderwertigkeiten“ (1891), die eine ähnliche Bedeutung hatte wie die Publikationen von Pinel oder Prichard, wurde die „Psychopathie“ auch in Deutschland zu einer umschriebenen nosologischen Gruppe.
Gleichzeitig begann jedoch eine Entwicklung, die, ähnlich wie bei der „moral insanity“ in den angelsächsischen Ländern, zu einer zunehmenden semantischen Einengung des Begriffes in Richtung pejorativer Inhalte führte. Dies war von Koch offenbar nicht beabsichtigt. Der Begriff der „Minderwertigkeit“ war rein organpathologisch gemeint im Sinne einer konstitutionell erhöhten Vulnerabilität. Verantwortlich für die Mißdeutung war wohl eher eine folgenreiche „Interaktion zwischen bestimmten Eigenschaften der beschriebenen Individuen, terminologischen Unschärfen und sozialen Bewertungen, so daß es bis zur Gegenwart bei der Verquickung von Aspekten des Amoralischen, der Minderwertigkeit und der Gesellschaftsfähigkeit blieb.“
Koch unterschied angeborene von erworbenen Formen der Pychopathie, die angeborenen bildeten aber den Schwerpunkt.
Von Koch führte der Weg zu Kraepelin, der sich im Laufe immer neuer Überarbeitung allmählich von der französischen Tradition der Degenerationslehren gelöst und einen Weg in Richtung unseres modernen Psychopathieverständnisses eingeschlagen hat (1909-1915). Allerdings behielt seine Psychopathiehre noch das Schwergewicht auf der Dissozialität und die pejorativen Intention.
Birnbaum legte seinen Monographien über „Die psychopathischen Persönlichkeiten“ (1909) und „Die psychopathischen Verbrecher“ (1926) die Lehre Kraepelins und die französische Degenerationslehre zugrunde. Konstitutionelle, vererbbare Dysbalancen zwischen einzelnen Persönlichkeitszügen und eine allgemein erhöhte Vulnerabilität des Nervensystems waren für ihn die entscheidenden ätiopathogenetischen Faktoren.

Von hier führten in der Folge die Wege zu „strukturpsychologischen Persönlichkeitsanalysen“ sowie zu „verschiedenen systematischen Typologien, in denen die einzelnen psychopathischen Erscheinungsweisen aus bestimmten Modellvorstellungen über den Aufbau der Persönlichkeit abgeleitet werden“ :

  • konstitutionspsychologische Entwürfe (Kretschmer, 1921)
  • Typenlehre von Gruhle (1956)
  • Schichttypologien (Kahn, 1928; Schultz, 1928; Homburger, 1929)
  • Reaktionstypologien (Kretschmer, 1921; Ewald, 1924)

Unser heutiges Verständnis von Psychopathie bzw. Persönlichkeitsstörung gründet sich in wesentlichen Teilen auf Kurt Schneiders Monographie „Die psychopathischen Persönlichkeiten“ (1923).
Schneiders großes Verdienst ist die konsequente methodologische und begriffliche Ausarbeitung der Kraepelinschen Psychopathielehre unter besonderer Berücksichtigung

  • einer besseren Abgrenzung der Psychopathien gegenüber den endogenen Psychosen
  • einer Ersetzung der wertenden soziologischen Einteilungsprinzipien Kraepelins durch eine möglichst reine, wertneutralere Typenlehre

Schneiders von Systematisierungsversuchen freie Einteilung umfaßt 12 Typen, die wegen ihrer aktuellen Bedeutung für die Grundlegung der modernen Klassifikationssysteme hier noch einmal aufgelistet seien:

  • Die Hyperthymischen
  • Die Depressiven
  • Die Selbstunsicheren (Unterformen: Die Ängstlichen und die Zwanghaften)
  • Die Fanatischen
  • Die Geltungsbedürftigen
  • Die Stimmungslabilen
  • Die Explosiven
  • Die Gemütlosen
  • Die Willenlosen
  • Die Asthenischen

In den 70er Jahren hat eine zunehmende Beunruhigung über die unzureichende Reliabilität und fragliche Validität psychiatrischer Diagnosen zu einer umfassenden Krise der psychiatrischen Diagnostik geführt. Als Stichwort sei die Antipsychiatriebewegung genannt, die in ihren extremeren Formulierungen sogar die Abschaffung der Kategorie der „Psychopathie“ forderte. Es folgte eine breit angelegte „Reform“ psychiatrischer Diagnostik, deren vorläufiges Ergebnis die modernen, auf operationalen Kriterien aufgebauten Klassifikationssysteme darstellen. In diesem Zusammenhang wurde auch der Begriff der „Psychopathie“ weitgehend aufgegeben und von einem begrifflich neutraleren und konzeptionell breiteren Begriff der „Persönlichkeitsstörung“ abgelöst.

Der Begriff „Persönlichkeitsstörung“ tritt unter angloamerikanischem Einfluß als neutraler gemeinter Begriff zunehmend an die Stelle des Psychopathie-Begriffes. Dazu Sass (1998):

„Mit dem Ausdruck der Persönlichkeitsstörungen können die Bedeutungsunsicherheiten des unterschiedlich verstandenen Neurosebegriffes ebenso umgangen werden wie die sozial abwertenden Beiklänge des früheren Psychopathieverständnisses.“

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