Managed Care
Managed Care ist ein in den USA entwickeltes Versicherungs- und Versorgungsmodell, in welchem mit betriebswirtschaftlichen Management-Prinzipien und einem differenzierten Instrumentarium gezielt Einfluss auf medizinische Entscheidungsprozesse und ärztliches Handeln genommen wird. Vorrangiges Ziel von Managed Care-Organisationen ist die (möglichst flächendeckende) Steuerung der medizinischen Versorgung nach ökonomischen Gesichtspunkten zum Zwecke der Kostenkontrolle. Elemente der Steuerung sind z. B. Leitlinien-Medizin (Guidelines), gatekeeping, Case Management, disease management und spezielle Anreizsysteme für Leistungserbringer und Versicherte.
Traditionell berechtigt der Facharzttitel, als Nachweis der bestmöglichen medizinischen Qualifikation im entsprechenden Fachbereich, den mit Kassenvertrag niedergelassenen Arzt, sein Handwerk nach bestem Wissen und Gewissen auszuüben. In einem Managed Care-System arbeiten Ärzte untereinander vernetzt und im Verbund mit anderen Berufsgruppen, erfüllen dabei inhaltliche Vorgaben, die vielfach nicht medizinischen, sondern ökonomischen Bedürfnissen entsprechen und stehen dabei unter der Kontrolle eines betrieblichen Managements, welches seinerseits den Zielsetzungen der Versicherer und sonstiger Finanziers verpflichtet ist.
Zur Umsetzung von Managed Care ist eine tief greifende Transformation der bisherigen Versorungsstrukturen erforderlich. Damit dies auf legale Weise vollzogen werden kann, bedarf es des Abschlusses spezieller Verträge mit Leistungserbringern.
Managed Care-Ärzte müssen dabei folgende Bedingungen akzeptieren:
- Die selbständige freie ärztliche Tätigkeit wird aufgegeben zugunsten der Mitarbeit in einer Managed Care-Organisation (MCO)
- Die medizinische Zusammenarbeit wird beschränkt auf Mitarbeiter derselben Versorgungseinrichtung oder auf ausgewählte Vertragspartner (z. B. Ärztenetzwerke, Gruppenpraxen, spezielle Krankenhäuser), die ebenfalls nach Managed Care-Kriterien arbeiten.
- Das Arztgezheimnis wird zugunsten der Datentransparenz in unterschiedlichem Masse aufgeweicht.
- Ein vorgegebenes Gesamtbudget oder eine feste Pro-Kopf-Pauschale darf nicht überschritten werden, der Managed Care-Arzt bleibt aber dennoch verantwortlich für die Behandlungsqualität und das Therapieergebnis.
Dort wo Bonus-Malus-Regelungen bestehen, wie z. B. in Deutschland, haften Ärzte die das Budget bei der Versorgung ihrer Patienten überschreiten mit ihrem Privatvermögen.
Managed Care-Versicherte müssen folgenden Änderungen zustimmen:
- Verzicht auf die freie Arztwahl
- Verpflichtung, bei jedem medizinischen Problem zuerst einen sogenannten Gatekeeper – in der Regel ein Hausarzt (Grundversorger) – aufzusuchen, der dann nach Managed Care-Gesichtspunkten entscheidet, ob und welche Behandlung bzw. ob allenfalls eine Überweisung zu einem Spezialisten notwendig ist
Da viele Versicherte sich intuitiv gegen die Aufgabe der freien Arztwahl sträuben, werden Managed Care-Modelle dort, wo Wahlmöglichkeiten bestehen, durch Prämienrabatte subventioniert.
Zusammengefasst bedeutet Managed Care:
- Abschaffung der freien Arztwahl und des freien Bezugs ärztlicher Leistungen für Versicherte zugunsten eines Gatekeeper-Modells mit zentraler Steuerung der medizinischen Leistungserbringung
- Abschaffung der freien (und unabhängigen) ärztlichen Tätigkeit zugunsten einer quasi institutionalisierten und vernetzten, arbeitsteiligen Tätigkeit unter den Bedingungen eines festgelegten Budgets und dem Primat betriebswirtschaftlicher Kontrolle
- Aufweichung oder Umgehung des Arztgeheimnisses zugunsten einer grösseren Datentransparenz
- Erhöhtes Versorgungsrisiko durch aktive Ressourcenverknappung zugunsten vereinbarter Sparziele
- Entlastung der Versicherer durch Übertragung wesentlicher Anteile des Versicherungsrisikos und des (verschärften) Versorgungsrisikos auf die Leistungserbringer (Ärzte und andere Managed Care-Dienstleister) und Versicherten
Managed Care führt zu einer Ökonomisierung und Verbetrieblichung der medizinischen Tätigkeit. Ärzte, die in Managed Care-Organisationen oder -Netzwerken arbeiten geben per Vertrag medizinische Schlüsselkompetenzen (z. B. die Entscheidung, ob eine Behandlung indiziert ist, welche Massnahme durchgeführt wird, wie lange die Behandlung dauern sollte, welche Medikamente zum Einsatz kommen etc.) ab, die dann im MC-System auf mehrere Stellen verteilt werden. Sie versorgen ihre einzelnen Patienten nicht mehr nach individueller Massgabe, sondern nach den Zielsetzungen der Managed Care-Organisation. Durch die Verpflichtung zur Budgetmitverantwortung, ggf. mit Bonus-Malus-Regelung (s. o.) wird das eigene Interesse der Leistungserbringer an einer kostengünstigen Behandlung sichergestellt. Aufgrund der geforderten Vernetzungen, Dokumentationen und Datenflüsse wird die Arzt-Patienten-Beziehung in Managed Care-Organisationen transparenter. Die zielgerichtet herbeigeführte Ressourcenverknappung erhöht das Versorgungsrisiko besonders der Patienten, die unter teuren und wenig „rentablen“ Erkrankungen leiden, d. h. deren Versorgung sich nicht rechnet. Das sind v. a. chronisch und psychisch Kranke bzw. Patienten, bei denen es im Krankheitsverlauf zu schlecht kalkulierbaren Komplikationen kommt. Ein besonderes Risiko trifft also diejenigen, die medizinische Hilfe am meisten benötigen und sich am wenigsten selber helfen können.
Die Frage, ob und in wieweit Managed Care die Gesundheitskosten senken und gleichzeitig die medizinische Qualität auf hohem Niveau gewährleisten kann, wird sehr kontrovers diskutiert. Die Studienlage ist widersprüchlich, beim Blick in „Managed-Care-Länder“ erhärtet sich aber der Eindruck, dass dieses System charakteristische Risiken und Nebenwirkungen bereithält.
Klar ist, dass die Sicherung der medizinischen Versorgungsqualität über alle Patientengruppen hinweg unter Managed Care-Bedingungen eine besondere und ständige Herausforderung bleibt. Sehr relevant ist, wie die medizinischen Schlüsselbegriffe (Versorgungsqualität, medizinische Notwendigkeit etc.) definiert werden bzw. wer die Definitionshoheit hat. In bestehenden Managed-Care-Systemen nehmen die MCO einen erheblichen Einfluss, die Beurteilung der medizinischen Sachlage wird unter Managed Care zur Verhandlungssache.
Gemäss der bisherigen Studienlage bleibt fraglich, ob Managed Care tatsächlich die Gesamtkosten im Gesundheitswesen senkt und ob Einsparungen nicht v. a. auf der Seite der Leistungserbringung, also der eigentlichen Versicherungsleistung, erfolgen (Rationierung). Zu bedenken ist dabei, dass die Errichtung und Unterhaltung eines solchen Apparates einerseits selber erhebliche dauerhafte Kosten generiert und andererseits einen neuen Markt mit Gewinnorientierung schafft. Aufgrund der Marktgesetze ist es wahrscheinlicher, dass sich diese neue Marktmacht in verbuchten Gewinnen niederschlägt, als in einer Senkung der Versicherungsprämie.
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